Parnehnen                       

Krasnij Jar 
Früher ein deutsches Dorf in Ostpreußen Heute ein russisches Dorf in der Oblast Kaliningrad
Menschen
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Ljuba und Wolodja

 

Die beiden kenne ich seit etwa 14 Jahren. Sie besitzen eine Haushälfte mit Hof und Stall und einigen ha Land in Parnehnen. Sie  betreiben etwas Landwirtschaft, bewirtschaften ihren Garten und erzeugen Vieles selbst, wovon sie auch im Winter leben. Ljuba war damals Köchin für die Schulkinder und - seit es bestand - auch für das Internat und Wolodja half im Internat als ungelernter Pädagoge. Irgendwann beschloß das Ehepaar, mit den beiden Töchtern nach Deutschland zu gehen, und der gesamte Besitz wurde verkauft und verschenkt. Als nach 2 Jahren feststand, dass ihnen das Leben in Deutschland zu fremd war, zogen sie zurück und konnten Haus, Trecker und manch anderes zurückkaufen. Allerdings waren nun die früheren Arbeitsstellen vergeben, und es wurde ein harter Neuanfang für die Familie. Bei meinen Besuchen in Parnehnen kehrte ich regelmäßig bei Ljuba und Wolodja ein, wurde freundlich aufgenommen und hatte Freude an der positiven Entwicklung, als beide wieder Arbeit gefunden hatten und Haus und Garten langsam wieder in gute Form gebracht wurden. Eines Tages erreichte mich in Deutschland die Nachricht: Wolodja hat Lungenkrebs, - eine Lunge ist entfernt worden.

 

Die Operation muß selbst bezahlt werden und kostet 3000 €. Auch die anschließende Therapie und Medikamente sind selbst zu finanzieren, und viel Geld fehlte. Über das Konto eines deutschen Bekannten wurde von der Parnehnen-Hilfe in drei Raten eine große Summe überwiesen. Wolodja überlebte und wurde in der nächsten Zeit durch seine Frau von allen anstrengenden Arbeiten fern gehalten.

Bei meinem nächsten Besuch bekam Wolodja eine Drechselbank und einfaches Werkzeug, um sich beschäftigen und mit Kindern aus dem Internat basteln zu können. Kleine Holzpüppchen und ein Buch über Puppenstuben sollten ihn anregen, sein Talent für Schnitzereien wieder zu entdecken.
Es dauerte lange, bis er wieder Mut fasste, im Schulinternat einige Stunden auf Honorarbasis arbeiten konnte und mich mit diesem Werk überraschte, das in Zusammenarbeit mit einer Kindergruppe entstanden und mit dem 1. Preis eines Wettbewerbs auf Gebietsebene ausgezeichnet worden war.

 

 

Hier einige Eindrücke von Wolodjas Arbeit.

 

 

Ljuba hatte inzwischen die Betreuung des Buffets in der Schule übernommen, das ist ein Kiosk mit Tee, Brötchen, Keksen und Süßigkeiten.

Täglich sprach sie mit vielen Lehrern, die Putzfrauen kamen auf einen Plausch, und die Kinder kauften sich etwas oder standen mit traurigen, hungrigen Augen an der Tür.

So erfuhr sie, was im Dorf und der Umgebung passierte und sah, welche der Kinder Hunger hatten oder nicht zweckmäßig gekleidet waren. Sie wusste, wer krank ist, in welcher Familie Hunger herrscht und wo wieder keine Kartoffeln für den Winter angepflanzt worden waren.

Bei meinen Besuchen erfuhr ich auf diese Weise, wer dringend Hilfe brauchte.

Natürlich verglichen auch meine beste Helferin, die Feldscherin Sweta und ich diese Listen mit ihren Informationen. Meistens stimmten sie im Wesentlichen überein, doch hin und wieder gab es von der einen oder anderen Seite Ergänzungen, und oft wurde ich einfach auf der Straße angesprochen und um ein Fahrrad gebeten oder um Unterstützung für eine Nachbarin.

Sweta, Ljuba oder Wolodja fuhren mit mir zusammen, um Medikamente und medizinische Hilfsmittel und Lebensmittel aus dem Großmarkt in Kaliningrad oder auch die von mir mitgebrachte Wäsche zu verteilen, die vorher nach Familien sortiert zu Bündeln verschnürt worden war .

Im Laufe der Jahre konnte ich viele Familien allein besuchen, aber fast immer gab es einige neue Adressen, wohin mich einer meiner Helfer/innen begleitete.

Nach und nach übernahm Wolodja die Verwaltung und Verteilung von Geld auch in meiner Abwesenheit. Er rechnete bei jedem meiner  jährlich drei bis vier Besuche mit mir ab und übergab Quittungen und Listen mit den Unterschriften aller Empfänger von Patengeld, Lebensmittelhilfe und „Stipendien“ sowie teilweise in eiligen Situationen auch Beihilfen für Operationen oder bei Beerdigungen.

Für einige Kinder und Alkoholiker kaufen sie nötige Dinge ein wie Schulhefte und –Bücher, im Notfall Schuhe oder ein Medikament.

Ljuba unterrichtet in meinem Auftrag außerdem im Wechsel einige Mädchen an der Nähmaschine, so dass manche von ihnen schon die obligaten Boxer-Shorts oder auch Sommerkleider herstellen können und nach und nach mit eigenen Nähmaschinen von mir versorgt wurden.

Seit dem vergangenen Herbst hat Ljuba ihre Arbeit verloren, da der Schulkiosk von einem anderen Besitzer übernommen wurde.

Wolodja hatte das Glück, eine Arbeit als Wachmann bei der neuen Brücke zwischen Talpaki und Tschernjachowsk/ Insterburg zu bekommen. Jeweils zwei Tage und eine Nacht lang beschützt er Menschen und Brücke vor tschetschenischen Rebellen und Bombenanschlägen. Anschließend hat er 2 oder 3 freie Tage, die er zu Arbeiten am Haus und im Garten nutzt.

Inzwischen steht in Wolodjas Wohnung auch ein Computer; aber die Möglichkeiten, im Internet zu arbeiten oder Mails zu schicken sind begrenzt. Gelegentlich gelingt es Wolodjas Tochter, eine Mail zu senden, oder in der Schule ergibt sich die Möglichkeit, eine Nachricht zu öffnen.

Auch die Telefonverbindung funktioniert nicht immer, aber ganz wichtige Nachrichten gelangen, - wenn auch auf Umwegen und mit Verspätung - an ihren Bestimmungsort.